UNAUFGEFORDERTE WERBUNG
30. NOVEMBER 2019
An Kavala führt kein Weg vorbei! Bereits von der Fähre, die direkt auf den malerischen Hafen der historischen Stadt zusteuert, kann ich die Schönheit des geschichtsträchtigen Ortes ausmachen. Auf dem höchsten Punkt, des in Kaskaden abfallenden alten Stadtkerns, thront hoch erhoben das Kastell, das aus der byzantinischen Zeit des 16. Jahrhunderts stammt.
Die nordgriechische Stadt, die gerne angeflogen wird, um die Pauschaltouristen von dort auf die benachbarte Insel Thassos zu bringen, ist eine wichtige Handels- und Hafenstadt, die um die 70.000 Einwohner zählt und auf eine lange, facettenreiche Geschichte zurückblickt. Schon aus diesem Grund möchte ich dieses historische Kleinod noch vor meiner Abreise nach Deutschland entdecken und weitestgehend erkunden.
Viel Zeit habe ich nicht. Gerade mal ein paar Stunden bleiben mir heute, um mich ortskundig zu machen und mir einen groben Überblick über die reizvolle Hafenstadt zu verschaffen.
Schwitzend und in furchtbar engen Jeans, die mir wie Gummi an der Haut kleben, mache ich mich langsam aber sicher auf dem Direkten, aber sehr steilen Weg in das Altstadtviertel von Kavala. Für spätsommerliche Verhältnisse ist es immer noch extrem heiß und ich merke, schon bevor ich überhaupt einen Schritt getan habe, wie mir das Power-Sightseeing meines knapp bemessenen Zeitfensters schwer zu schaffen macht.
Schnaufend bewege ich mich schwerfällig die kleinen, verwinkelten Gassen hinauf und steuere in weniger als 10 Minuten direkt auf das alte Türkenviertel zu, das von traditionellen, charakteristischen Wohnhäusern gesäumt wird. Dort befindet sich auch ein Imaret, das 1817 im Auftrag vom Begründer der ägyptischen Dynastie (bis 2953) erbaut wurde.
Muhammad Ali, der in Kavala um 1770 geboren wurde, stiftete diese Einrichtung, die einst ein Ensemble aus Moschee, Koranschule und Armenspeisehaus bildete. Im Jahr 2004 wurde das Imaret aufwendig und originalgetreu restauriert, um die alte Pracht der Kuppeldächer, Zisterne, Gewölbe und Innenhöfe wieder aufleben zu lassen und um darin in letzter Instanz ein luxuriöses Hotel entstehen zu lassen.
Je weiter ich meines Weges gehe, desto interessanter und vielschichtiger offenbart sich mir das Stadtbild. Ein buntes Allerlei aus farbenfrohen Häuserfassaden, wunderschönen schmiedeeisernen Toren, aber auch sehr vielen verfallenen, leer stehenden Häusern, die einen morbiden Charme ausstrahlen, breitet sich vor meinem Sichtfeld aus.
Merkwürdigerweise stört mich dieser Anblick, der mich normalerweise total abstoßen würde, keine Spur. Irgendwie fügt sich dieses Bild der teils sehr heruntergekommenen Häuser harmonisch in das historische Altstadt-Flair ein, ja es gibt dem Erscheinungsbild sogar eine verwegene, geheimnisvolle Note.
Weiter führt mich mein Weg durch verwinkelte, schmale Gassen, vorbei an der Kirche des Heiligen Nikolaus, die als Moschee errichtet seit 1927 erst in eine orthodoxe Kirche umgewandelt wurde. Vom Innenhof der Kirche, die oberhalb einer Klippe gelegen ist, hat man einen traumhaften Ausblick auf das unter einem wogende Meer.
Es rauscht und die Wellen krachen brausend gegen die Felsen. Es dauert noch eine ganze Weile, bis ich durch das Altstadtlabyrinth zum Kastell hinaufgelange. Immer bergauf, viele Treppenstufen nehmend, sichte ich sehr viele zerfallene Häuser, die nicht mehr bewohnt sind und scheinbar so vor sich hin modern, bis sie irgendwann in sich zusammenfallen.
Der morbide Charme dieses eigentlich sehr lieblichen Städtchens, ist auf eine eigentümliche Weise verzaubernd, auch wenn mich der ein oder andere Anblick eines ziemlich verkommenen Hauses mittlerweile doch ein wenig abstößt. Endlich oben auf dem Kastell angekommen, genieße ich eine atemberaubende Aussicht auf den unter mir liegenden Hafen und das zerklüftete, schroffe Umland. Von den Venezianern angelegt, steht die Burg heute nur noch in Teilen und kann in den Sommermonaten, solange die Saison andauert, auch besichtigt werden.
Was sehr auffallend und bezeichnend für den originellen Charakter von Kavala ist und mir auch sehr gut gefällt, sind die vielen mit Graffiti besprühten öffentlichen Plätze. Sogar die leer stehenden, teils eingefallenen Häuser in der Altstadt, werden durch die kunstvollen Wandmalereien verschönert.
So beschleicht mich fast das ungute Gefühl von etlichen Hausfassaden, aus großen aufgesprühten Augenpaaren beobachtet zu werden. Wahrscheinlich ist es die Handschrift eines einzelnen Künstlers, der so den ungenutzten Wohnräumen eine Daseinsberechtigung einräumen und ihnen Leben einhauchen will.
Ganz sicher ist die Neustadt von Kavala nicht das Mekka der historischen Glückseligkeit. Doch auch dieser wahrscheinlich oftmals vernachlässigte Teil der Stadt hat seinen eigenen Flair. Hier findet man viele Boutiquen, Einkaufsmöglichkeiten und auch Restaurants, die sich in den kleinen Nebenstraßen tummeln.
Allein schon das Rathaus ist einen Abstecher in die Moderne der Stadt wert. Um 1890 von einem ungarischen Tabakhändler erbaut, wurde das heutige Rathaus als Wohnhaus und Geschäftssitz
gleichermaßen genutzt. Von typischen Elementen der Gotik geprägt, mutet dieses kleine architektonische Juwel wie ein Schlösschen mit Türmchen, Balkonen, und Erkerfenstern aus dem Mittelalter
an.
Am Hafen lässt es sich entspannt flanieren. Von hier aus hat man tatsächlich die schönste Sicht auf die Altstadt von Kavala. Entlang der sich weit erstreckenden Promenade kann man den Fischern dabei zusehen, wie sie ihre Boote für den nächtlichen Ausflug auf´s Meer startklar machen. Oder man schaut einfach nur der Sonne beim Untergehen zu. Romantik ist in Kavala auf jeden Fall im Tagesausflug inbegriffen.